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Die Regierung Merz tritt ein schweres Erbe an

Eine Herausforderung der letzten Monate wurde Anfang Mai aus der Welt geschafft: Seit 6. Mai ist die neue Regierung im Amt. Der Start für den neuen Kanzler war ein holpriger. Erst im zweiten Wahlgang konnte sich Friedrich Merz die nötige Stimmenmehrheit sichern und startete so mit einem historischen Rückschlag in die Legislaturperiode. Politisch war die endgültige Übernahme der Geschäfte dringend nötig. Denn der deutsche „Schwebezustand“ war sowohl für Deutschland als auch für Europa insgesamt eine Belastung in den ohnehin schwierigen wirtschaftlichen Zeiten. Die Arbeit aber beginnt erst jetzt.

Matthias Nemack

06.06.2025 · 3 Min Lesezeit

Vorwürfe wegen Kompromissbereitschaft werden die Regierung begleiten

Kritik an Plänen der neuen schwarz-roten Regierung war bereits während der Koalitionsverhandlungen vernehmbar. Aus den eigenen Reihen sah sich Kanzler Merz mit dem Vorwurf konfrontiert, zu große Zugeständnisse gemacht zu haben. Die CDU wolle um jeden Preis regieren, hieß es von vielen Seiten. Zudem seien im Koalitionsvertrag noch immer „grüne“ Positionen erkennbar. Dies sei möglich geworden, weil die Regierung noch vor dem Machtwechsel unbedingt einige Projekte habe auf den Weg bringen wollen. Gemeint waren hier etwa milliardenschwere Investitionen in Klimaschutz und eine hohe Neuverschuldung. Richtig aber ist, dass es zur Erholung der deutschen Wirtschaft alternativlos ist, die entscheidenden Weichen zu stellen.

IW-Konjunkturprognose sieht Deutschland weiter in der Rezession

Während andere Volkswirtschaften wachsen, verharrt die deutsche Wirtschaft im Krisenmodus. Experten des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) erwarten für Deutschland eine Schrumpfung um 0,2 % im laufenden Jahr. Durch den ökonomischen Druck werde die Arbeitslosenzahl zum Sommer über 3 Millionen steigen. Die US-Wirtschaft werde im selben Zeitraum vermutlich um 1,3 % wachsen; für China sehen Prognosen ein Plus von 4 % voraus. Im Euroraum könnte die Wirtschaft ohne zusätzliche Schwierigkeiten ein Wachstum von 0,8 % erreichen. Der Vergleich mit den direkten europäischen Partnern verdeutlicht Deutschlands Probleme. Europas bisheriges Zugpferd krankt nach wie vor, während andere Nationen der Lage besser gewachsen sind.


Die Ursachen der deutschen Probleme benennen die Analysten unmissverständlich: hohe Standortkosten, teure Energie, steigende Löhne sowie eine Überregulierung des Marktes. Die Regierung Merz will bürokratische Hürden abbauen, ihren Willen zum Handeln in diesem Punkt muss sie aber erst noch beweisen.

Zollstreit wiegt schwer – Regierung muss endlich aktiv werden

Die USA wiederum würden sich gewissermaßen selbst im Weg stehen. Gleiches gelte für die Weltwirtschaft, so das IW. Ohne die aggressive US-Handelspolitik wäre mehr globales Wachstum denkbar. Neben der Industrie ist derzeit insbesondere das Baugewerbe von einem Rückgang der Wertschöpfung betroffen. In diesem Bereich erwartet das Institut für 2025 noch schlechtere Entwicklungen. Schon im Vorjahr mussten Bauunternehmen Einbußen von 3,7 % hinnehmen. IW-Konjunkturchef Michael Grömling zeigte sich im Mai unterm Strich durchaus optimistisch. Durch das Infrastruktur-Sondervermögen könne der Regierung die überfällige Trendwende gelingen. Neben dem Bürokratieabbau brauche es dafür aber ebenso Investitionsanreize in nahezu allen entscheidenden Branchen. Ganz zu schweigen vom deutschen Digitalisierungs-Dilemma.

Vollmundige Versprechen der Koalition stehen nüchternen Zahlen gegenüber

Kanzler Merz jedenfalls hat sich und seinem Kabinett hohe Ziele gesetzt. Wobei Begriffe wie „Wohlstand für alle“ aus Merz’ erster Regierungserklärung vorerst eher als typische Schlagworte verhallen werden. Auch wird Deutschland nicht so schnell zu Europas „Wachstumslokomotive“ werden, wie es sich die Koalition wünscht. Lichtblicke gibt es trotzdem. So vermeldeten viele Industirebetriebe zuletzt einen Anstieg der Bestellungen. Das im Wahlkampf erklärte Ziel eines mittelfristigen Wachstums von 2 % oder mehr pro Jahr halten Experten wie Carsten Brzeski von der ING Bank aber für unrealistisch. Entscheidend seien am Ende die Rahmenbedingungen. Eben diese sähen aktuell schlechter als in vielen anderen Ländern aus. Zum Knackpunkt könnte im Kontext der Krisenbewältigung werden, dass die US-amerikanischen Investitionen in Deutschland laut einer Studie der Beratungsgesellschaft EY stark rückläufig sind.

Die Zahl der Investitionsprojekte sank 2024 auf 90 – ein Minus von 27 % im Vergleich zum Vorjahr. In Europa belief sich der Rückgang im Referenzjahr im Schnitt auf nur 11 %. Die „erratische Zollpolitik“ der US-Regierung führe international zu Verunsicherungen. US-Großkonzerne würden Pläne für Investitionen auf Eis legen. An Bedeutung gewinnen durch die Unsicherheit zuvorderst Unternehmen aus China. Sie hätten die USA als wichtigsten Projektfinanzierer inzwischen abgelöst. Daraus könnte sich eine Verschiebung von Abhängigkeiten entwickeln. Der große Schaden jedenfalls, den Trump China nur allzu gerne zufügen würde, ist bisher nicht zu erkennen gewesen. Im Gegenteil.

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Matthias Nemack arbeitet seit 2007 als freier Journalist. Arbeitsschwerpunkte sind die Bereiche Finanzen und Rohstoffe. Im Mittelpunkt stehen in besonderer Weise die Auswirkungen globaler wirtschaftspolitischer Entwicklungen auf die Marktpreise aus […]